Bruckner in Grösse und Menschlichkeit

Bernard Haitink zu Gast beim Tonhalle-Orchester Zürich

 

Von Peter Hagmann

 

Eine Sinfonie Anton Bruckners, zumal die Siebte, mit dem Dirigenten Bernard Haitink – das ist nach wie vor ein Moment des besonderen musikalischen Erlebens. Auch und gerade, das darf betont werden, wenn das Tonhalle-Orchester Zürich am Werk ist. In der Tonhalle Maag, die, was Beleuchtung und Akustik betrifft, in der Sommerpause einige Verbesserungen erfahren hat, geben die Musikerinnen und Musiker dann jeweils ihr Bestes. Und dass das nicht wenig ist, erwies sich gerade vor der Erinnerung an den Abend mit Bruckners Siebter, den das Lucerne Festival Orchestra und sein Chefdirigent Riccardo Chailly vor Monatsfrist im KKL Luzern absolvierten. Technisch stand es beim Tonhalle-Orchester jedenfalls zum Besten; selbst die hinsichtlich der Intonation äusserst heikle Stelle der vier Wagner-Tuben und der Kontrabasstuba im zweiten Satz gelang vorzüglich.

Auffällig war einmal mehr, dass Bernard Haitink am Pult von der Zeichengebung her kaum direkt aufs Orchester einwirkte; es waren einzig die Vorstellungskraft (und, damit verbunden, das Voraushören), die Intensität der musikalisch-emotionalen Anteilnahme und das schwer in Worte zu bringende Charisma des Dirigenten, die das Geschehen steuerten. Schon der aufsteigende E-dur-Akkord, der im dritten Takt des Kopfsatzes anhebt, wurde zu einem veritablen Hörereignis. Weil sich, zum einen, die Celli und die Hörner so einzigartig mischten. Und weil, zum anderen, der Aufstieg in die Oberquint von einer unaufdringlichen, aber wirkungsvollen Spannung erfüllt war – einer Spannung, die sich wenige Takte später, bei der Wiederholung des Motivs, in einem wunderbar zart hinzugefügten E-dur-Dreiklang der Hörner erfüllte. Das (unter vielem anderem) ist, was Haitink in so unverkennbarer Weise versteht: Gewichte zu setzen, Abmischungen zu steuern und für Leben in den Einzelheiten zu sorgen.

In den grossen Verläufen dagegen herrschte auch in dieser Auslegung von Bruckners Siebter jene unnachahmliche Gelassenheit, die Haitinks spätes Bruckner-Bild auszeichnet. Den Kopfsatz nahm er gleichsam in einem einzigen, durchgehenden Tempo; wenn sich Veränderungen des Grundschlags ergaben, waren sie so diskret ausgeführt, dass sie sich ganz natürlich anhörten. Noch eindrucksvoller geriet in dieser Hinsicht das Adagio des zweiten Satzes, das sich in getragenem Zeitmass unter einen einzigen riesigen Bogen spannte und schliesslich in dem berühmt gewordenen Beckenschlag kulminierte. Der Grösse dieser musikalischen Erfindung blieb Haitink auch diesmal nichts schuldig. Indessen fehlten, da die musikalische Grossform durch subtile Nuancierungen im Kleinen aufgehellt wurde, auch hier nicht die Züge des Menschlichen. Des Atmenden, des Pulsierenden.

Etwas beiläufig erschien das Scherzo mit seinem im Inneren liegenden Trio. Das ist ein Satz, in dem vielleicht – die Tempovorschrift «sehr schnell» deutet es an – eine Art drängender Energie walten muss, die Haitink hinter sich gelassen hat. Um so zwingender das Finale. «Bewegt, doch nicht schnell» soll es genommen werden – und genau so tat es Bernard Haitink. Wieder blieb er klar im Schlag, auch im lyrischen zweiten Thema, das dafür von hauchzarter Beimischung der beiden Klarinetten profitierte. Nicht dass Haitink zu einem Vertreter der historisch informierten Aufführungspraxis mit ihrer sprechenden Musizierweise geworden wäre, doch die zwei Viertel, die in der Folge so markant in den Vordergrund treten, liessen bei ihm hörbar zwei unterschiedliche Gewichte erkennen. Und dann, rund hundert Takte vor dem abschliessenden Doppelstrich, begannen sich die Entwicklungen zu verdichten, wechselten sich Vorwärtsdrängen und Zurückhalten so vital ab, dass das allerletzte Viertel durchaus als Erlösung genommen werden konnte. Stehapplaus, tiefe Dankbarkeit.

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